Krieg ist ganz einfach: Es geht darum, die Kampfkraft des Gegners so weit zu schwächen, dass er zu wirkungsvollem Widerstand nicht mehr fähig ist. Je eher die unterlegene Seite das einsieht, desto früher kann das Töten und Sterben beendet werden. Doch Hitler kannte keine solche Einsicht. Und die auf den „Führer“ persönlich vereidigte Wehrmacht fast immer ebenso wenig — zumindest 1944. So kam es knapp zehn Wochen nach dem Beginn der Invasion in der Normandie zur Entscheidungsschlacht.
Nach dem Durchbruch der amerikanischen Streitkräfte bei Saint-Lô im Zuge der „Operation Cobra“ Ende Juli 1944 hatte sich die Masse dieser Truppen geteilt: Mehrere Korps stießen Richtung Süden vor, um schnellstmöglich die Loire zu erreichen. Die übrigen Einheiten drangen, kommandiert vom US-Panzergeneral George S. Patton, nach Osten vor. Richtung Paris, um die französische Hauptstadt zu befreien.
Jedoch stellten die alliierten Luftaufklärer fest, dass die deutsche 5. Panzerarmee und die 7. Armee, zusammen rund 150.000 Mann, nicht wie erwartet selbst Richtung Osten zurückwichen, sondern ihre Stellungen westlich einer Linie zwischen Falaise und Chambois offenbar zu halten versuchten. Also entschied Oberbefehlshaber Dwight D. Eisenhower, früher als geplant zum Vernichtungsschlag auszuholen.
Statt diese beiden trotz aller Verluste immer noch kampfkräftigen Großverbände vor sich herzutreiben, bis sie mit dem Rücken an der Seine standen, wollte Eisenhower die Entscheidung nun schon weiter im Westen suchen. Das Ziel war, die beiden Armeen einzukesseln und zur Aufgabe zu zwingen.
Dafür sollten die Briten und Kanadier, die bei Caen standen, noch etwa 40 Kilometer Richtung Südosten über Morteaux nach Chambois vorstoßen. Gleichzeitig sollte ein US-Korps vom direkten Weg nach Paris gen Norden schwenken und über Argentan ebenfalls nach Chambois vordringen. Gelänge diese Operation, wären die Reste von gleich zwei deutschen Armeen gefangen.
Spätestens am 12. August 1944 war den deutschen Kommandeuren, voran Generalfeldmarschall Günther von Kluge, klar, dass ihnen eine schwere Niederlage in einer Kesselschlacht bevorstand, wenn sie nicht sofort den Rückzug befahlen. Doch Hitler weigerte sich, obwohl Kluge ihm berichtete, dass sich die Schlinge die beiden Armeen zuzog.
Während sich die deutschen Truppen in der größten Panzerschlacht an der Westfront verzweifelt gegen die zahlenmäßig mehr als doppelt so starken, vor allem aber materiell drückend überlegenen amerikanischen, britischen und kanadischen Truppen verteidigten, fuhr Kluge am 15. August 1944 zur Front. Er wollte sich im Hauptquartier der 5. Panzerarmee selbst ein Bild machen. Doch auf dem Weg griffen alliierte Tiefflieger seine Kolonne an. Mehr als 24 Stunden lang blieb Kluge unerreichbar.
Hitler, seinen höchsten Generälen gegenüber stets notorisch misstrauisch (was sich seit dem gescheiterten Staatsstreich am 20. Juli deutlich verstärkte), mutmaßte sofort, der Feldmarschall sei verschwunden, um mit den Alliierten Waffenstillstandsverhandlungen aufzunehmen. Dafür gab es zwar kein Indiz, aber Hitler enthob Kluge trotzdem seines Kommandos und schickte den Defensivspezialisten Feldmarschall Walter Model von der Heeresgruppe Mitte an der Ostfront nach Nordfrankreich, um Kluges Posten zu übernehmen.
Kaum hatte Model die Lage durchschaut, leitete er den Rückzug ein. Es war höchste Zeit: Am 18. August 1944 schmolz der noch von der Wehrmacht gehaltene Raum zwischen Falaise und Chambois auf eine Breite von acht Kilometern. Die Alliierten beharkten dieses Areal mit Artillerie und Tieffliegern pausenlos.
Einen Tag später vereinigten sich britische, kanadische und US-Einheiten etwas nördlich von Chambois. Der Kessel war nun geschlossen, rund 100.000 deutsche Soldaten saßen darin fest, genau genommen Teile von elf Infanterie- und zehn motorisierten Divisionen. Mit anderen Worten: fast die Hälfte der überhaupt noch kampffähigen deutschen Verbände in Nordostfrankreich. Außerhalb standen in der Nähe vor allem zwei Panzerdivisionen der Waffen-SS.
Model setzte sich über die bekannten Wünsche Hitlers hinweg: Er ließ den Kessel evakuieren, statt den noch nicht eingeschlossenen Verbänden den Befehl zum Durchbruch zu geben, um eine Verbindung zum Kessel herzustellen. Denn Letzteres hätte angesichts der Überlegenheit der Alliierten lediglich mehr deutsche Truppen in die Gefahr baldiger Vernichtung gebracht.
Am 20. August 1944 konnten 35.000 bis 40.000 Wehrmachtssoldaten gen Osten entkommen, darunter die Mehrzahl der Stäbe und fast alle höheren Offiziere. Aber sie mussten den Großteil ihrer Ausrüstung zurücklassen: 344 gepanzerte und 2447 sonstige Fahrzeuge, 252 Geschütze und 1800 Pferde.
Einen Tag später, am 21. August, schlossen die Alliierten die Schwachstelle in ihren Linien so weit, dass ein Durchbruch der noch im Kessel verbliebenen deutschen Truppen unmöglich war. Mehr als 50.000 Männer der Wehrmacht gingen in Kriegsgefangenschaft, rund 10.000 weitere wurden tot geborgen.
Eisenhower nannte das Schlachtfeld südlich von Falaise in seinen Memoiren später „einen der größten ,Vertilgungsplätze‘ aller Kriegsgebiete“. Er fühlte sich an Dantes „Inferno“ erinnert: „Man ging stellenweise buchstäblich Hunderte von Metern nur auf abgestorbenem und verwesendem Fleisch.“
Es war den Alliierten nicht gelungen, die deutschen Truppen in Nordfrankreich mit einem Schlag auszuschalten. Der Militärhistoriker Detlef Vogel führt das im Reihenwerk „ Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“ einerseits auf die mangelnde Erfahrung der eingesetzten britischen und kanadischen Truppen zurück.
Andererseits sei die Verteilung der US-Truppen wesentlich gewesen: „Der alliierte Entschluss, die Mehrzahl von Pattons Divisionen nicht zur Abschnürung der Deutschen zu verwenden, sondern vielmehr nach Osten zu dirigieren, verhinderte zweifellos die machtvolle Schließung des Kessels“ schon am 19. August 1944.
Allerdings hätte wohl auch eine totale Zerschlagung der deutschen 5. und 7. Armee im Kessel von Falaise nicht dazu geführt, dass Hitler-Deutschland aufgegeben hätte. Vielleicht aber wären die Westalliierten deutlich früher über den Rhein gelangt als im Februar 1945. Dann hätte die Landkarte Nachkriegseuropas wahrscheinlich anders ausgesehen.
Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.